A Living Memorial –
Mahnmahlprojekt gegen das Vergessen, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus
von WOF Agricola
ist ein Medienkunstkontext für die Opfer des Holocaust, der zwischen 1993 und 1999 realisiert wurde und am 27.1.1995 im Historischen Archiv der Stadt Köln vom Kölner Medienkünstler Agricola de Cologne unter dem damaligen Namen W.O.F. Agricola als ersteb von über 42 darauffolgenden Austragungsorten in Austellungsinstallationen der Öffentlichkeit präsentiert.
Unter der Schirmherrschaft von Ignatz Bubis (1927-1999), dem verstorbenen Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, versuchte dieses in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts realisierte Gedenkprojekt, eine Verbindung zwischen dem historischen Nationalsozialismus 1933-1945 und den neofaschistischen Manifestationen der damaligen Zeit herzustellen. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa fanden an vielen Orten täglich neofaschistische Demonstrationen statt.
Dieses Mahnmal möchte nicht nur das 1998 zum Teil durch rechtsterroristischen Vandalismus zerstörte Projekt rekonstruieren, sondern auch auf eine Epoche aufmerksam machen, die stark an die Zeiten erinnert, in denen rechts gerichtete politische Parteien und Populisten wieder eine sehr gefährliche Rolle spielen und antisemitische und antijudaistische Strömungen sichtbar werden, wie in den 90er Jahren, als dieses Projekt zerstört wurde. Das Memorial-Projekt war Opfer seiner eigenen Ziele geworden, und als Zeugen wurden die Überreste der Zerstörung zu einem Denk-,Gedenk- und Mahnmal – auch von verlorenen Illusionen.
Das Projekt des Mahnmahlprojekts ist undenkbar ohne die vielfältigen Aspekte von Geschichte, die den eigentlichen Anlaß für eine künstlerische Auseinandersetzung in den Jahren 1993 – 1998 darstellten.
1. die NAZI Ära, welche basierend auf einer menschenverachtenden Ideologie Urheber der Auslöschung menschlichen Lebens im industriellen Maßstab – der Holocaust- war, deren Opfer Juden und andere von der NAZI Ideologie als lebensunwert deklarierte Minderheiten wie Sinti und Roma, Homosexuelle, Andersdenkende und Andersgläubige wurden – 1933-1945
2. die Familiengeschichte des Künstlers
3. der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989
Darum ist es nicht nur erlaubt, sondern geradezu zwingend, davon zu sprechen, daß es sich bei dem künstlerischen Vorhaben anstatt um ein abgeschlossenes Projekt, welches während eines bestimmten Zeitraum realisiert wurde, sondern vielmehr um einen zeitlich nicht eingegrenzten Prozess handelt, welcher auf einer internen familiären Disposition beruhend, bereits bei der Geburt des Künstlers angelegt war. Es war nur eine Frage der Zeit oder des gegebenen Anlasses, wann dieser Prozess sich nach außen, z.B. in einem künstlerischen Projekt manifestierte. Solche Manifestationen gab es verschiedentlich bereits seit der Kindheit des Künstlers, z.B. in dem er ohne jeden erkennbaren Bezug, sich in seinen gemalten Bildern, mit dem Judentum auseinandersetzte. Das rief auf der einen Seite Erstaunen hervor, auf der anderen Seite maß niemand dem zum damaligen Zeitpunkt irgendeine Bedeutung bei.
Zu der Nachkriegsgeneration gehörend wuchs der Künstler auf der einen Seite mit einem Geschichtsbewußtsein auf, welches vom humanistischen Gedankengut geprägt war, er besuchte ein humanistisches Gymnasium, auf der anderen Seite wurde weder in seiner Familie, noch während der Schulzeit, die Zeit des Nationalsozialismus in einer wahrnehmbaren Weise thematisiert. Der Geschichtsunterricht in der Schule war so aufgebaut, daß am Ende eines Schuljahrs die Weimarer Republik stand, welches gerade noch die Machtergreifung Hitler’s zuließ, doch auf die Nazi-Diktatur selbst und den durch sie vom Zaune gebrochene 2. Weltkrieg ging der Geschichtsunterricht nicht ein.
Dies wurde allenfalls in Sekundenschnelle abgehandelt, als am 20. Juli eines jeden Jahres, des Attentats Graf Schenk von Stauffenbergs auf Hitler gedacht wurde. Immerhin!
Diese Art Marginalisierung trug in jedem Falle dazu bei, daß Familie und Schule nur wenig Anlaß boten, sich mit der Nazi-Zeit auseinanderzusetzen, und somit taten dies die Auseinandersetzungen, welche in den 60iger Jahren in Deutschland öffentlich ausgetragen wurden, auch nicht. Hinzukam, daß Agricola de Cologne sich in seiner Jugend anstatt mit politischen Fragen, vielmehr mit Fragen der Kunst und imaginären Welten auseinandersetzte. Durch eigenes Erleben war der Künstler jedoch mit der DDR Diktatur konfrontiert, denn seit früher Kindheit fuhr er zusammen mit seiner Mutter in den Sommerferien zu seinen Großeltern in Ostdeutschland, so auch 1961. Der Mauerbau in Berlin am 13. August 1961, die damit geschlossenen Grenzen und die Frage, ob die Familie überhaupt je nach Westdeutschland zurückkehren könnte, brannte sich als Trauma tief in seine Erinnerung ein, und nachdem die Rückkehr nach Westdeutschland möglich geworden war, weigerte er sich noch mals den Boden der ostdeutschen Diktatur zu betreten.
Das Jahr 1989 stellt gerade auch für den Künstler aus vielen Gründen eine Zäsur dar, im Mai starb sein Vater, und am 9. November fiel die Berliner Mauer. Eher im Jahr hatte er den gemeinnützigen Verein “ARCHA Society” gegründet, und es war ein außerordentlicher Zufall, daß ihm am 9. November, dem Tag des Mauerfalls in Berlin das Kölner Registergericht den Eintrag in Vereinsregister bestätigt hatte. Dies als Zeichen des Himmels deutend fokussierte er von nun die Arbeit dieses Vereins auf einen Kulturaustausch zwischen West- und Osteuropa, weshalb er zahlreiche Reisen hinter den ehemaligen eisernen Vorhang unternahm.
Als Folge der “International ARCHA Konferenz”, welche er im Mai 1991 in der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz durchführte, führten ihn seine Reisen vorzugsweise nach Polen, wo er insbesondere durch den Besuch zahlreicher Gedenkstätten wie Auschwitz oder Majdanek zum ersten Male mit dem unvorstellbaren Ausmaß deutscher Barbarei, welche sich auf dem Boden Polens manifestierte, konfrontiert wurde, was einen tiefen und nachhaltigen Schock verursachte.
Er fühlte sich dazu aufgerufen, als Künstler seinen persönlichen Beitrag zu einer Aussöhnung mit den Juden, aber auch mit Polen, denn dem Land und seiner Bevölkerung war ebenfalls unvorstellbares Leid durch die Deutschen zugefügt worden. Sein künstlerisches Vorhaben nannte er “1000 Jahre, 50 Jahre und noch stets so schrecklich jung”.
Dabei stehen die “1000 Jahre” – für das “1000 jährige Reich Hitler’s”, welches tatsächlich ja “nur” wenige Jahre währte, die 50 Jahre auf das Jahr 1995 und die 50. Wiederkehr des Ende des 2. Weltkriegs und damit auch des 1000 jahrigen Reichs, und “noch stets so schrecklich jung” bezieht sich auf die zahlreichen neofaschistischen Manifestationen und damit das Aufkeimen der menschenverachtenden, nationalsozialistischer Ideologie , welche nach dem Fall der Berliner Mauer in den 90iger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Staaten an der Tagesordnung waren.
Das war ein völlig neuer Ansatz in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust, der anders als andere künstlerische Versuche zuvor, den Ansatz nicht in geschichtlichen Ereignissen vor mehr als 50 Jahren suchte, die man selbst aus eigener Anschauung ja gar nicht kannte oder kennen konnte, sondern in der Aktualität der Jetztzeit und diese als Basis und Anlaß nehmend, einen Bogen zu den geschichtlichen Ereignissen der Nazi-ära zu schlagen.
Er visualisierte also nicht das Grauen, welches den Opfern durch die Täter wiederfuhr, vielmehr entstand so etwas wie Grauen beim Betrachter durch die künstlerische Botschaft, die wiederauferstehende, menschenverachtende Ideologie der Neonazimanifestationen, ließen den Holocaust jetzt und zu jeder Zeit möglich erscheinen, und dem galt es mit aller Macht entgegenzuwirken.
Anstatt in die Vergangenheit verlagerte der Künstler das Gedenken in Gegenwart und Zukunft, ausgehend von Begebenheiten, mit denen sich der in der Jetztzeit lebende Betrachter identifizieren konnte. Wenn dieser dann den gedanklichen Bogen auf Begebenheiten der Vergangenheit schlug war der Boden für ein besseres Verstehe und damit dem Nachvollziehen der geschichtlichen Ereignisse möglich.
Obwohl das künstlerische Vorhaben sich in einer fast konventionellen Form einer Ausstellung von Bildobjekten darstellte, schloß es stark interaktive Komponenten mit ein, denn es aktivierte den Betrachter in mehrfacher Hinsicht. Dabei wandte der Künstler gängige künstlerische Medien wie Fotografie, Kollage, Zeichnung oder skulpturale Elemente in einer vielfach unbekannten und darum auch irritierenden Weise an, die gängige Sichtweisen und damit auch des Betrachters Wahrnehmung in Frage stellte. Die Bildobjekte standen zudem nicht individuell für sich selbst, sondern bekamen ihren Sinn erst durch deren Inszenierung als Ausstellung, auf diese Weise zwang die Ausstellung den Betrachter sich zu bewegen. Erst nach Abschluß des Rundgangs war es dem Betrachter möglich, die Ausstellung als Gesamtheit und damit deren Sinn zu erfassen. Die Ausstellungsinstallation war deshalb auch das eigentliche Kunstwerk zu verstehen. Der Künstler nahm die Strukturen der Medienkunst, wie sich heute darstellt um viele Jahre voraus.
Die Eröffnung des Ausstellungsvorhabens fand im Januar 1995 im Historischen Archiv der Stadt Köln statt, von wo auch das Vorhaben in den darauf folgenden Monaten in 10 polnischen Museen gezeigt wurde. Als im März 1995 der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland – Ignatz Bubis – die Schirmherrschaft über dieses Projekt übernommen hatte, war dies der Anlaß, von dieser Ausstellung ausgehend, das spätere Mahnmalprojekt – “A Living Memorial – Mahnmalprojekt gegen das Vergessen, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus – weiter zu entwickeln.
Es war aber auch diese Schirmherrschaft, durch die das Vorhaben eine neue Art öffentlicher Wahrnehmung erhielt, mit fatalen Folgen für den Künstler, denn nun wurde er Opfer von rechtsmotivierten Telefonterror und anonymen Drohbriefen. Man vergegenwärtige sich zudem, daß zu damaliger Zeit Personen öffentlichen Interesses vielfach Opfer von Briefbomben wurden, eiman denke dabei an ein so prominentes Opfer, den damaligen Wiener Oberbürgermeister Zilk, der durch die detonation einer Briefbombe seinen Arm verlor. Es war also keineswegs abwegig, anzunehmen, der Künstler könne ebenfalls Opfer eines solchen Anschlags werden, zumal dieser über einen Zeitraum von mehreren Jahren verstärkt verdächtige Postsendungen erhielt. Obwohl sich keine dieser Briefsendungen als Bombe herausstellte, wuchs zunehmend die Angst, eines Tages würde etwas Schreckliches passieren., was dann tatsächlich auch ganz unvermittelt eintraf.
Von dieser unterschwelligen Angst getrieben, entwickelte der Künstler das Konzept eines mobilen Mahnmals, welches aus mehreren Einheiten – „Kunsträumen“ – bestand, die jede einer bestimmten symbolischen Farbe zugeordnet waren, mit Namen – A Living Memorial Kunstrume – Mahnmalprojekt gegen das Vergessen etc.
So wurde aus der Ausstellungsinstallation „1000 Jahre, 50 Jahre und noch stets so schrecklich jung“ der sog. „Braune Raum“. Die Farbe „Braun“ steht dabei für die Naziideologie. Neu geplant waren der „Grüne Raum“, der „Blaue Raum“, sowie der „Rote Raum“ und der „Gelbe Raum“ und der „Schwarze Raum“.
Den künstlerischen Vorstellungen entsprechend sollten diese „Kunsträume“ am besten gleichzeitig an unterschiedlichen Orten installiert werden, mit dem Ziel den Besucher dazu einzuladen und zu motivieren, örtliche Gegebenheiten, welches zuvor keine Kunstbezüge hatten, mit der geänderten Identität eines Kunstraums neu zu erfahren und wahrzunehmen.
Auf seinen zahlreichen Reisen im Osten Europas war der Künstler schockiert darüber, wie wenig Zeugnisse jüdischen Lebens in Gegenden verblieben waren, in den vor dem Holocaust die Mehrheit der Bevölkerung Juden waren. Darum machte es sich der Künstler zur Aufgabe, wohin auch sein Reisen ihn führten, Zeugnisse jüdischen Lebens mit der Kamera zu dokumentieren. In der Mehrzahl aller Fälle handelte es sich dabei um jüdische Friedhöfe, die häufig einer radikalen Vernichtung entkommen waren, und damit vielfach die einzigen Zeugnisse darstellten, daß am Ort überhaupt einmal ein Jude lebte. Der „Grüne Raum“ hatte als farbliche Gestaltungselement die Farbe „Grün“, und nahm entsprechende fotografischen Elemente mit auf, während der „Blaue Raum“ , in der die Farbe „Blau“ als gestalterisches Hauptelement historische und aktuelle Begebenheiten einer zeitgenössische künstlerischen Bewertung unterzog.
Der Rote Raum kam 1998 zum Einsatz und schloß neben statischen Bildobjekten zum ersten Male auch bewegte Bilder und interaktive Komponenten unter Einbeziehung von Computern bzw Computerbildschirmen mit ein.
Im September 1998 geschah dann das Unfaßbare, als das Vorhaben des Mahnmahlprojekts dem Anschlag von Neonazis zum Opfer fiel und damit ein jähes Ende fand.
Während die Bildobjekte teilweise irreparabel beschädigt waren, war es vor allem die Gesamtheit des Vorhabens, welche vollständig zerstört wurde war. Eine Wiederaufnahme und gar Weiterentwicklung wurde vereitelt, als der Künstler als Folge des Anschlags in ein monateandauerndes Koma fiel, aus dem er aber im Mai 1999 zum Glück wieder erwachte.
Insgesamt wurde das künstlerische Mahnmalvorhaben an 43 Orten in Polen, der Tschechischen Republik, Belgien, Ost-und Westdeutschland installiert.
Im August 1999 starb der Schirmherr des Vorhabens, Ignatz Bubis.
Das Online Projekt stellt den Versuch einer Rekonstruktion dar, welche Ignatz Bubis gewidmet ist.
Am 1.1 2000 nahm der Künstler, wiederauferstanden als Agricola de Cologne das Konzept erneut auf, sich künstlerisch mit Gedenkkontexten zu befassen, als er das Projekt „A Virtual Memorial Foundation“ ins Leben rief, welches als Mutter aller bis zum heutigen Tage realisierten Projektvorhaben zu verstehen ist.